„Tabula rasa“ – mir gefällt dieser Ausdruck, er kommt gelegentlich in meinen Texten vor. Denn mir gefällt die Vorstellung: Tabula rasa – der ursprüngliche Zustand der Seele vor den ersten Einflüssen durch Eindrücke und Erfahrungen, sagt die Philosophie. „Eindrücke“, ein Wort, das dazu passt. In uns wird etwas hineingedrückt, wir werden „geprägt“, was ja auch ein Eindrücken ist, eine Formung, ein Geformtwerden. Damit betreten wir nun ein ziemlich weites Feld: Was in unserem Leben ist Prägung, was Individualität? Wie viel Einfluss haben wir auf das, was uns beeindrucken, „eindrücken“ will? Und wollen wir das jederzeit zulassen?
Manchmal heißt es dann, Nichtanhaftung zu praktizieren. Manchen Menschen fällt das recht leicht, anderen wiederum gar nicht. Es muss mit der Dicke der Haut zu tun haben, mit mehr oder weniger Durchlässigkeit. Und das Papier – ist es nicht auch mehr oder weniger dick, mehr oder weniger durchlässig? Lässt es sich nicht auch beeindrucken, prägen, formen? Und führt es nicht dennoch ein Eigenleben …?
Unbekanntes Land. 2018
Palimpsest
Weißes Blatt
fremder Text scheint
durch das Papier
spiegelverkehrt
Und wenn ich heute
rechts und links
vertauschte
und wenn es mir heut
zum rechten Ohr herein-
zum linken Ohr hinausginge
mich durchflösse
ohne anzuhaften
wenn ich mitflösse
ohne anzuhaften
geschmeidig wie ein Fisch
Was für ein Tag wäre das?
Ich wäre wie ein weißes
Blatt Papier, durch das
fremder Text scheint