Nichtsahnend begebe ich mich diese Woche zum Altglascontainer um die Ecke, als ich unverhofft von einem Imperativ aufgehalten werde: „SEI GLÜCKLICH!“ hat da jemand in großen Lettern mit Kreide auf den Gehsteig geschrieben. Och nö, nicht das auch noch! Habe ich nicht schon genug zu tun! Jetzt soll ich auch noch glücklich sein. Zudem macht mich diese Aufforderung ärgerlich. Als wenn das so einfach wäre. „Glücklich“ – da liegt die Messlatte ganz schön hoch. So ein Glückspilz von echtem Schrot und Korn, das bin ich sowieso nicht.
Überall lauern diese gut gemeinten Sprüche, die uns aus dem Alltagstrott reißen sollen: Lebe wild und gefährlich! Man ist nie zu klein, um großartig zu sein! Das Leben ist schön! Und so weiter und so fort.

Gerade für Menschen, die nicht auf der „sunny side of the street“ unterwegs sind und sich eh dauernd fragen, wie sie ihr Dasein denn etwas freudvoller gestalten könnten, sind solche imperativen Sentenzen eher „schwierig“. Sie erhöhen den (Erfolgs-)Druck. Wie kann ein gelungenes Leben aussehen? Was will ich am Ende meiner Tage über mein Leben sagen können? Hatte ich Träume? Konnte ich sie verwirklichen? Und wenn nicht? Bin ich gescheitert? Und was heißt scheitern eigentlich?
Sei glücklich! Sorry, schaffe ich gerade nicht. Zu viele Baustellen.

Vielleicht bedeutet Glück, sich von den Erwartungen, die real oder vermeintlich an uns gestellt werden – und die wir selbst an uns stellen –, zu distanzieren. Reicht nicht mein (einfaches) Existieren voll aus, wie ich es neulich ebenfalls in meiner Nachbarschaft lesen konnte? Oder braucht es da doch mehr?
Vor einiger Zeit habe ich mich in einer Liste einmal selbst befragt, worin mein ureigenes Wohlsein wohl liegen könnte …

Alternativer Bildtex

Einfach sein?!

Was ich so leidenschaftlich
am liebsten betriebe
von morgens bis abends

Vorm Frühstück schon Gedichte lesen
und gleich danach eine Linie zeichnen
mich auch verlieren im Zeichnen
meiner Fantasie freien Lauf lassen
meiner Hand die Freiheit geben
und meinem Geist

und dann zum Mittag hin ein wenig draußen
spazieren in den vier Elementen
Erde Wasser Feuer Luft finden in der Natur
den freien Geist wieder einfangen und mich sammeln
mich neuen Inspirationen öffnen
verlorene Dinge entdecken vielleicht
ein Gespräch führen

und folgend der Nachmittagstee mit Blicken
aus dem Fenster oder im Garten sitzend die
Bienen beobachten und
das eine oder andere Wort notieren
Zusammenhänge herstellen vielleicht
ein Kapitel eines Romanes lesen
mir wichtig scheinende Sätze ins
Notizbuch übertragen
eine Postkarte schreiben

und bald dämmert es und wird kühl
ein Licht entzünden
warme Socken anziehen
eine Suppe kochen
mich wärmen
dem Schnurren der Katze lauschen
das mich fast einschläfert

und in der Nacht dann die Wanderung
des Mondes beobachten
wie die Sterne aufgehen
wie das Käuzchen ruft
wie die Kerze flackert und erlischt
und ich ganz im Dunklen sitze
und der Schlaf leise herantritt und
mir die Decke umlegt und das
Kissen zart schüttelt für
schöne Träume
in denen ich

vorm Frühstück schon Gedichte schreibe
und gleich danach eine Linie zeichne …