Neulich begegnete mir das Gedicht „13 Arten, eine Amsel zu betrachten“ („Thirteen Ways of Looking at a Blackbird“) von Wallace Stevens aus dem Jahr 1954. Da war gleich mein Listensinn wieder angesprochen: 13 Arten! Also 13 Stichpunkte oder Sätze oder Beobachtungen. Und die Lust am Experimentieren war geweckt. Das Schöne an Listen ist ja für mich, dass ich nicht ausufern muss, sondern mich kurzfassen darf.

Genauso ging es mir mit der Schreibaufgabe, die ich einmal in einem Schreibseminar bei Annette Pehnt bekam: 36 Sätze über meinen Vater (oder meine Mutter oder XY). Eine gute Möglichkeit, sich einer Person anzunähern, gerade wenn sie oder die Beziehung zu/mit ihr möglicherweise „eher schwierig“ war oder ist. Und wenn mir erst mal gar nichts einfällt, kann ich zumindest Zahlen aufs Papier schreiben. Dann steht da schon was und die Hürde, Wörter dazuzusetzen, ist möglicherweise nicht mehr so hoch.

Doch zurück zu den „13 Arten“. Ich habe mich mit einem Gegenstand beschäftigt, der zu meinem täglichen Leben gehört und der mir beim Schreiben dann gar nicht mehr so selbstverständlich vorkam, sondern eher „beseelt“. – Welchem Gegenstand oder Phänomen, welcher Person würden Sie sich gerne mal auf 13 (oder 36 oder …) Arten nähern?

Alternativer Bildtex

It’s tea time.

13 Arten, eine Teetasse zu betrachten

I
Die Teetasse verharrt still im Küchenschrank und wartet.

II
Die Blüten der Teetasse sind zu jeder Jahreszeit gleich, egal ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter.

III
Die Blüten der Teetasse werde auch im Dunklen nicht welk.

IV
Der Rand der Teetasse trägt feines Gold und zeugt von anderen Zeiten.

V
Die eine Teetasse ist filigran, die andere Teetasse ist robust. Die dritte fasst nur ein Schlückchen, die vierte reicht für einen ganzen Nachmittag.

VI
Herbst und Winter sind die Hochzeiten der Teetasse. Bei mir hat sie das ganze Jahr über Saison.

VII
Die Teetasse mag es nicht gern, wenn ein Beutel in ihr herumhängt. Die Teetasse mag es lieber, wenn die goldschimmernde Flüssigkeit heiß und duftend fertig in sie hineingegossen wird mit aller zu erwartender Achtsamkeit.

VIII
Unter ihresgleichen fühlt die Teetasse sich am wohlsten. Es muss nicht unbedingt das 24-teilige Service sein, aber doch aus zartem, dünnwandigem Porzellan bitte schön.

IX
Die Teetasse verachtet klobige Kaffeebecher, die einfach keinen Stil haben.

X
Gemütlichkeit und Harmonie verbreitet die Teetasse. Geborgenheit. Ruhe. Pause. Wärme von innen. Nur gute Eigenschaften also vereint die Teetasse auf sich.

XI
Durchaus bekommt die Teetasse mal einen Sprung oder gar einen Zacken aus dem Goldrand gebrochen beim unachtsamen Spülen. Dann wird sie von jetzt auf gleich unansehnlich und trägt ein schweres Los.

XII
Wenn die Teetasse Glück hat, wird sie nicht fortgeworfen, sondern erhält beim Trödel oder auf dem Flohmarkt die Chance auf ein zweites Leben.

XIII
Dann nehme ich die Teetasse mit zu mir und sie verharrt mit anderen Versehrten still in meinem Küchenschrank und wartet.