Ich bin umgezogen. Und während des Kistenpackens begegnete mir eine Pappschachtel mit einer Kunstaktion meiner Schwester aus dem Jahre 1994. Dazu gehörten drei Mungobohnen. Ich wollte die Schachtel nicht mitnehmen und steckte die kleinen Bohnen einfach in die Erde im Balkonkasten. Und siehe da, nach ein paar Tagen entdeckte ich dort zwei neue Pflänzchen – die 30 Jahre alten Mungobohnen waren tatsächlich zum Leben erwacht.

Zu meinen letzten Handlungen in der alten Wohnung gehörte, diese beiden Pflänzchen vorsichtig aus der Erde zu ziehen und sie in einem Plastikbeutelchen in die neue Wohnung zu bringen und dort wieder einzupflanzen. Ein kleines Knäuel zarter Wurzeln hatte sich gebildet in der kurzen Zeit, die nun in neuer Umgebung sich weiter ausbreiten können. Werden sie das schaffen? Nach drei Wochen sehen die Pflänzchen derzeit noch gut aus und zittern im Spätsommerwind.

Und auch für mich geht es um neue Verwurzelung. Nachdem sich das viele Organisieren und die vielen Handlungen, die ein Umzug mit sich bringt, gelegt haben und ich etwas zur Ruhe komme, spüre ich auch das Fremdsein im neuen „Zuhause“. Ich schaue auf meine Zimmerpflanzen, die ich vor dem Umzug noch mal umgetopft habe und die sich nun hier an einem anderen Ort mit anderen Lichtverhältnissen zurechtfinden müssen – sie regen sich derzeit leider gar nicht, und ich frage mich, ob ich ihnen zu viel zugemutet habe oder ob ich einfach nur Geduld haben muss, weil so eine tiefgreifende Veränderung eben Zeit braucht zum „Verdauen“.

Ich selbst muss mich nicht nur an andere Lichtverhältnisse, auch an andere Geräuschverhältnisse gewöhnen, und das scheint mir kein leichtes Unterfangen zu sein. Ist die Sehnsucht nach Stille mitten im städtischen Trubel nicht einfach naiv? Offenbar der Wunsch nach der Quadratur des Kreises. Um Stille geht es daher in dem heutigen kleinen Text, den ich ausgesucht habe. Auch sie ein zartes Pflänzchen, das reicher Pflege bedarf.

Alternativer Bildtex

In jede Ritze.

Momentaufnahme

ein Lichtfleck an der Wand
die Stille durch die Haut einsaugen
wie Wasser dringt sie
in jede feine Ritze, jede Falte
und ist doch wie eine Seifenblase
zerplatzt beim leisesten Geräusch

könnte ich sie nur bewahren
wie einen Schatz
eine blecherne Plätzchendose voll Stille
immer wieder holte ich
eines heraus und genösse es
das Stilleplätzchen

ach, Freundin, könntest du
mir welche backen?
ich bestriche sie mit Zuckerguss
der leicht zitronig schmeckte

ein lichtfleck an der Wand
der still verblasst