Der Mai ist die Zeit des Spargels, der ersten Erdbeeren, der Maiglöckchen – und auch die Zeit der Pfingstrosen. Neulich kaufte ich bei einem Floristen (nur) 5 von ihnen, noch ganz geschlossen und für eine Unsumme. Wirklich, ich erschrak, als er mir den Preis nannte. Aber nun gut, dachte ich, beiße ich in den sauren Apfel und hoffe, sie sind ihr Geld wert.

Und tatsächlich: Nun, nach ein paar Tagen, zeigt sich eine üppige Blütenpracht – 5 sind da wirklich genug in der Vase, so ausladend präsentieren sich die hellrosa Pfingstrosen-Blütenblätter und verströmen ihren feinen Duft in der kleinen Wohnung. Sie begrüßen mich sozusagen, wenn ich zur Tür hereinkomme, und täglich erfreue ich mich an ihrem Anblick und begutachte, ob auch die letzten beiden noch recht geschlossenen Knospen sich öffnen wollen.

Warum halte ich das für eine Erwähnung wert? So ist das eben im Frühling und Sommer, dass die Pflanzen ihre volle Pracht entwickeln zu unserer Freude. Dennoch scheint es mir ein Wunder, dass aus einer fest geschlossenen Kugel sich etwas entwickelt, das mindestens dreimal so groß ist und aus unzähligen Blättern besteht, die vorher gänzlich unsichtbar waren (bis auf drei vielleicht). Der Reiz besteht in dem Beobachten des Wachstums, der Entwicklung. Täglich passiert etwas, verändert sich. Und wenn dann die volle Blüte da ist – ist auch gleich die Vergänglichkeit nicht weit. Wenn der Höhepunkt des Wachstums erreicht ist, kann es nur „bergab“ gehen, zurück in die Erde sozusagen.

Was mich selbst angeht, so habe auch ich meinen Zenit überschritten (schon allein von den Lebensjahren her), was mir mal mehr, mal weniger bewusst ist. Vor allem war mir der Zenit als solcher nicht bewusst. Vermutlich lässt sich ein Menschenleben aber nicht so eins zu eins mit einem Pflanzenleben vergleichen. Weil es in einem Menschenleben mehr Höhen und Tiefen gibt, weil auch nach dem Überschreiten des Zenits sich Wachstum auf einer anderen Ebene als der körperlichen zeigen kann. Und möglicherweise werde ich bis zum Ende meines Lebens damit beschäftigt sein, noch wachsen zu wollen (in die Fragen und in die – letzte – Antwort hinein, um mal wieder Rilke zu bemühen). Oder ist der Lebenshunger irgendwann gestillt und ich bin „satt“? Ich vermute aber, dass auch in diesem Zustand mich das Wachsen und Vergehen eines Pfingstrosenstraußes besonders berühren wird!

Alternativer Bildtex

Rosarotes Wunder.

Wachsen

größer werden
klüger werden
sich ausdehnen in die
Höhe die Breite die Tiefe
Duft verströmen
Lebenslust
ein großes Ja

Schrumpfen

kleiner werden
senil werden
sich zusammenziehen
um die Mitte herum
Alteleutegeruch
des Lebens müde
das letzte Wort?

Was hier aber fehlt:

die Weisheit des Alters
die Macht der Erinnerungen
die Dehnung der Zeit
der Mut