Neulich passierte es mir mal wieder, dass ich in einer telefonischen Warteschleife verweilen musste und eine technische Stimme mir wiederholt versicherte: „Ihre Verbindung wird gehalten. Ihre Verbindung wird gehalten.“ Das ist doch irgendwie tröstlich, dachte ich, da hält jemand oder etwas die Verbindung und ich muss gar nichts weiter tun. Für Menschen (wie mich), die öfter zweifeln, ob sie überhaupt verbunden sind mit jemandem oder etwas, könnte so eine Ansage vielleicht Entlastung bedeuten: „Ihre Verbindung wird gehalten. Sorgen Sie sich nicht, es ist für Sie gesorgt.“
In diesen kommenden (Jahresend-)Tagen, in denen manche womöglich das Gefühl bekommen werden, mehr Verbindung zu haben, als ihnen lieb ist, werden sich andere umso unverbundener fühlen. Für sie mag es eine echte Aufgabe und Herausforderung sein, in Gedanken oder Taten sich zu verbinden.
Wenn wir einen Blick haben oder entwickeln für das, was um uns herum ist, können wir diese Verbindung leichter herstellen – so ist meine Erfahrung: mit dem Baum an der Straßenecke, der Katze, die gegenüber auf der Fensterbank sitzt, der alten Frau, die gerade ein leeres Marmeladenglas in den Container wirft. Und wir können uns genauso mit uns selbst verbinden, unserem Atem, unserem Herzschlag, unserem Lidschlag. Mir hilft in vielen Situationen das Schreiben, um mich zu verbinden – mit mir selbst und mit anderen. So handelt auch mein heutiger Text „Vom Weben“, den ich 2017 schrieb, von Verbindung. Er fällt diesmal etwas länger aus, verdichtet nicht, sondern breitet eher aus. Aber der Winter ist ja auch gemacht fürs Geschichtenerzählen …
Ich wünsche allen alles Gute für die kommende Zeit – in herzlicher Verbundenheit!
Hold the line.
Vom Weben
Als meine Mutter noch lebte, saß ich gern mit ihr auf ihrer Terrasse und schrieb mit meinem Füller Wörter, die sie sagte, in mein Heft, notierte zusammenhanglos aus ihren Erzählungen einzelne Begriffe und übte mich so in der schönen Schrift. Es waren besondere Momente der Verbindung zwischen uns und zwischen mir und dem Papier und dem Stift.
Nun ist meine Mutter schon länger tot und ich lausche keinen Erzählungen mehr auf einer Terrasse und notiere dabei auch nicht mehr zusammenhanglos Begriffe und dennoch versuche ich hier gerade schreibend einen Teppich zu weben aus Wörtern, und mir beim Schreiben zuzuschauen erfreut mich auch. Ich höre das Kratzen der Feder auf dem Papier, sehe das Schwarz sich ausbreiten, als strickte ich einen breiten Schal oder webte einen Stoff, endlos.
Also schreib, schreib, dass der Faden nicht reißt, und vielleicht verbindet dich das mit deiner Mutter, die erzählen konnte, Geschichten und Erlebnisse, von Menschen erzählte, die du nur aus ihren Erzählungen kanntest. Du konntest dich geborgen fühlen in diesem Wortteppich, in Ahnengeschichten, in ihrem Familien- und Verwandtschaftsgewebe. So wurde der Stuhl, auf dem sie saß, zu einem Webstuhl, auf dem sie Geschichten webte und sich selbst in dieses Geschichtengewand hüllte, um nicht allein zu sein, sondern verbunden mit den Lebenden und den Toten, der Vergangenheit und der Gegenwart, aber später doch mehr mit den Toten und der Vergangenheit.
In ihrem eigenen Tod mag sie vielleicht auf neue Art mit ihren Toten verbunden sein, ihrer Vergangenheit wieder näher gekommen, denn im Totsein verwässern sich die Zeiten zu einem großen Fluss, in dem sie schwimmt mit den anderen oder am Ufer sitzt und weiter Geschichten erzählt, alle erzählen sie Geschichten, die sich aus dem Fluss speisen und die den Fluss speisen, auf dass er fließen und fließen möge und nicht versiegen, sondern für alle Zeiten da sein und für alle Seelen, die noch folgen werden, auch für mich wird ein Platz sein im Fluss und am Ufer, ich werde mich dort erfrischen.