Wenn es gut läuft, versuche ich am Ende des täglichen Morgenseitenschreibens (oder dem, was sich für mich daraus entwickelt hat) etwas Poetisches zu Papier zu bringen. Manchmal nutze ich dafür ein fremdes Gedicht, aus dem mich etwas anspricht, das kann ein Bild, eine Metapher sein oder nur ein einzelnes Wort. Manchmal nehme ich aber auch irgendein Buch, schlage irgendeine Seite auf und tippe blind auf irgendein Wort. Wenn ich auf diese Weise fünf Wörter zusammenhabe, lasse ich mich von ihnen inspirieren für einen neuen Text.

Das Spannende an diesem „Wörterpicken“ ist, dass es mich auf fremde Fährten führt, denn ich bekomme es hin und wieder mit Wörtern zu tun, die ich nur selten verwende und/oder die mir im poetischen Schreiben erst einmal nicht in den Sinn kämen, wie im heutigen Text der Instrumentenbauer und die Garderobe. Das hilft mir, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, mich in Gefilde zu begeben, in denen ich mich nicht so gut auskenne, wie die Musik zum Beispiel. Beim Verfassen der „Klangfolge“ unten erinnerte ich mich an die Schreibübung „Die Musik in dir“ von Bonni Goldberg (in „Raum zum Schreiben“, Autorenhaus Verlag): Wenn Sie ein Instrument wären, welches wäre das? – Und mal weitergedacht: Wie würde es sich wohl anhören auf Erden, wenn wir alle Instrumente wären?

Alternativer Bildtex

Sound Sequences.

Klangfolge

Wie ein Instrumentenbauer
spürst du dem Ton nach
den das Leben für dich angeschlagen hat
du streichst über den Korpus
deines Seins
wie ein Instrumentenbauer
über das Holz streicht
die Glätte prüft und die Resonanz

Es war dir so eng
als haustest du in
einem Violinenkasten
zu selten geöffnet

Doch dann nutztest du
die nächste Gelegenheit
und entflohst
ließest den Kasten in der
muffigen Garderobe zurück
und folgst nun dem fremden Klang
wie ein Instrumentenbauer
dem Klang folgt

Hörst du die neuen Töne
wie sie sich an dich schmiegen
so lange haben sie
dich vermisst