Oft empfinde ich es als Fluch, dass ich meine Ohren nicht einfach so schließen kann wie meine Augen. Während ich dies schreibe, höre ich die Menschen in der Wohnung unter mir, wie sie durcheinanderreden und lachen und jemand beim Abendessenkochen den Kochlöffel auf den Topfrand schlägt – immer schlägt eine*r von ihnen den Kochlöffel auf den Topfrand in einem bestimmten Rhythmus, den ich inzwischen wiedererkenne. Oft empfinde ich es als Fluch, was meine Ohren alles hören.

Doch es gibt genauso Momente, da liebe ich, was meine Ohren alles hören, und da will ich unbedingt einfach nur hören. Ich vermute, dass es Musiker*innen so geht. Nachts geht es mir so, wenn ich die Stille hören will, und neulich ging es mir so, als ich unter einer kleinen Eiche stand, die noch ihr braunes, knitteriges Blätterkleid trug …

Alternativer Bildtex

Zwillingsmuschel. 2016

hörsinnlich

durch die Ohren
dringt das Draußen
in mich
auch durch die Haut
manchmal
an Tagen wie Transparentpapier
so dünn

wenn da Meisen in mich fliegen
freu ich mich
wenn da Stimmen sinnlos plappern
quäl ich mich

dieser Tage stehe ich unterm Eichenbaum
der noch wundersam voll mit
vertrocknetem Laub
der Wind bläst eine Melodie hinein
ich schließe die Augen
lausche
bin fern auf einmal

die Sonne wärmt mir die Nase
das papierene Blätterrauschen
nimmt mich mit
ganz Ohr bin ich –

ich kehre zurück
öffne die Augen
sehe das graue graue Wintergrau
doch höre höre noch
von Weitem
den Sonnenort
meine Nase kitzeln