Inspiration finden

Wenn es gut läuft, versuche ich am Ende des täglichen Morgenseitenschreibens (oder dem, was sich für mich daraus entwickelt hat) etwas Poetisches zu Papier zu bringen. Manchmal nutze ich dafür ein fremdes Gedicht, aus dem mich etwas anspricht, das kann ein Bild, eine Metapher sein oder nur ein einzelnes Wort. Manchmal nehme ich aber auch irgendein Buch, schlage irgendeine Seite auf und tippe blind auf irgendein Wort. Wenn ich auf diese Weise fünf Wörter zusammenhabe, lasse ich mich von ihnen inspirieren für einen neuen Text.

Das Spannende an diesem „Wörterpicken“ ist, dass es mich auf fremde Fährten führt, denn ich bekomme es hin und wieder mit Wörtern zu tun, die ich nur selten verwende und/oder die mir im poetischen Schreiben erst einmal nicht in den Sinn kämen, wie im heutigen Text der Instrumentenbauer und die Garderobe. Das hilft mir, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, mich in Gefilde zu begeben, in denen ich mich nicht so gut auskenne, wie die Musik zum Beispiel. Beim Verfassen der „Klangfolge“ unten erinnerte ich mich an die Schreibübung „Die Musik in dir“ von Bonni Goldberg (in „Raum zum Schreiben“, Autorenhaus Verlag): Wenn Sie ein Instrument wären, welches wäre das? – Und mal weitergedacht: Wie würde es sich wohl anhören auf Erden, wenn wir alle Instrumente wären?

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Sound Sequences.

Klangfolge

Wie ein Instrumentenbauer
spürst du dem Ton nach
den das Leben für dich angeschlagen hat
du streichst über den Korpus
deines Seins
wie ein Instrumentenbauer
über das Holz streicht
die Glätte prüft und die Resonanz

Es war dir so eng
als haustest du in
einem Violinenkasten
zu selten geöffnet

Doch dann nutztest du
die nächste Gelegenheit
und entflohst
ließest den Kasten in der
muffigen Garderobe zurück
und folgst nun dem fremden Klang
wie ein Instrumentenbauer
dem Klang folgt

Hörst du die neuen Töne
wie sie sich an dich schmiegen
so lange haben sie
dich vermisst

Lenzgesänge

Ich kann nicht anders, als noch einmal den Frühling zu besingen, der mir die liebste Jahreszeit ist. Es ist doch ver/wunder/lich, dass es wieder sprießt und dass der Himmel wieder blau ist, während gleichzeitig die Sorgen um „die Welt“ nicht nachlassen. Ich nahm neulich an einem Schreibseminar zur Heilkraft der Natur teil und las diese Woche im beruflichen Kontext einen Beitrag über die Vorzüge des Waldbadens (Shinrin Yoku) – und nun kann ich nicht umhin zu sagen: Die Natur heilt.

Und diese Faszination dessen, was uns da geschenkt wird, erlebe ich vor allem im Frühling, wenn „alles“ im Werden ist, aufbricht, ausbricht aus dem Dunkel der Erde und der Äste. Überall sehen, hören (der Zilpzalp ist zurück), riechen und spüren wir ein großes JA zum Leben. Und daher schließe ich heute ausnahmsweise mit einem Appell: Retten wir die Natur, denn die Natur rettet uns!

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o. T.

Schwingungen

Das Stapfen meines Fußes
erzeugt ein Echo
einen kalten Widerhall
des sterbenden Winters

Erstmals wage ich meine
Schatten zu dehnen und
dem Hall zu begegnen

Sodann breitet sich zarte
frühlingshafte Wohligkeit aus
das Echo ist nur mehr ein
Wort mit vier Buchstaben

Mein Fuß stapft auf
und festigt meinen Weg
in neue Farben

Mal die Perspektive wechseln

Wenn morgens die Vögel schon zwitschern, bevor es hell wird, dann streckt der Frühling seine Fühler aus, mögen die niedrigen Temperaturen auch das Gegenteil vermuten lassen. Ich höre gern zu, was da so gezwitschert wird, und stelle mir vor, ich wäre mittendrin in diesem Völkchen von Meisen, Rotkehlchen und Amseln, das sich zu früher Stunde gegen das ewige urbane Dauerrauschen der Autos durchzusetzen versucht.

Zu fliegen wie die Vögel ist ein alter Menschheitstraum. Hin und wieder die Vogelperspektive einzunehmen, kann lehrreich und auch heilsam sein. Die Dinge mal mit Abstand zu betrachten und das größere Ganze in den Blick zu nehmen; manches relativiert sich dabei.
Und dann merke ich, dass ich gern noch viel länger „da oben“ verweilen würde, segelnd, mich treiben lassend, leicht … Wie wäre es heute also mit einem kleinen Aus-Flug?

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Metamorphose.

Nach der Nacht

Am frühen Morgen
wenn die Mondsichel noch steht
ziehe ich mit den ersten Vögeln
frei bin ich dann
in der klaren Luft der oberen Troposphäre

Je näher ich der Erde komme
desto zweifelnder werde ich

Die kurze Form

Während ich dies schreibe, bin ich noch sehr positiv beeindruckt von einem Seminar zu autobiografischem Schreiben, an dem ich kürzlich teilgenommen habe, geleitet von der Schriftstellerin Annette Pehnt. Wir versuchten uns in verschiedenen Zugängen zu diesem weiten Feld des Autobiografischen (oder auch Autofiktionalen) – und als Liebhaberin der kurzen / poetischen / Form gefiel mir besonders der „Lebenslauf in 10 Wörtern“. Uns als „kleine Fingerübung“ angekündigt, haben diese zehn Wörter es aber doch in sich. Ein ganzes Leben mal eben komprimieren, das Wichtigste herausfiltern und zu Papier bringen. Das Wichtigste? Was ist es denn, was mein Leben ausmacht? Ist es das Früher oder ist es das Jetzt oder eine Mischung aus beidem? Worauf richte ich meinen Blick?

Im Seminar schrieb ich drei verschiedene Varianten und in der Vorbereitung für diesen Blogbeitrag „spielte“ ich mit einzelnen Zeilen, tüftelte, suchte nach noch passenderen Ausdrücken, setzte zusammen, verwarf, änderte die Reihenfolge und entschied mich schließlich für die 10 Wörter, die unten zu lesen sind (die Überschrift ausgenommen). Morgen würde ich vielleicht andere Wörter wählen und übermorgen sowieso.
Ich möchte Sie und euch anregen, es auch mal mit den 10 Wörtern zu probieren. Da gibt es so viele Möglichkeiten: zum Beispiel nur (Lebens-)Orte zu benennen, nur Namen von Menschen, die einem wichtig waren oder sind, Musiktitel – oder den kleinen Lebenslauf rein aus Verben oder Adjektiven bestehen zu lassen … Eine spannende Entdeckungsreise!

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oh wie lebensfroh!

Mein Leben in 10 Wörtern

Schale aufgebrochen
ungeborgenes Lebensknirschen
mühsames Altlastenentledigen
Innenweltenbummlerin
neue Wege findend

Ungewissheiten

Inzwischen sind wir angekommen im neuen Jahr, doch wissen wir nicht, was es bringen wird. Auf die letzten zwei, drei Jahre zurückblickend, sind wir vielleicht froh, dass wir nicht wussten, was uns erwarten würde. Sind wir demütiger, bescheidener geworden in dieser Zeit, die uns so viel abverlangt hat und so viel ins Wanken brachte?

Wir planen, schließen Verträge, sichern uns ab in der Hoffnung, das Leben im Griff zu haben. Und doch geschehen immer wieder Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir so nicht vermutet hätten – manchmal sind es glückliche Fügungen, die dem Leben womöglich eine neue Richtung geben, manchmal böse Blitzeinschläge, die die vermeintlichen Gewissheiten zu Staub zerfallen lassen. Flexibel zu sein, anzunehmen, was kommt, das ist immer wieder eine Herausforderung für uns Menschen. Möge das neue Jahr uns wohlgesinnt sein!

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Hier und dort.

Noch zart

Ein neues Jahr beginnen
einen neuen Tag
eine Stunde
eine Minute
eine Sekunde beginnen

ein neues Leben beginnen
aufrichtig zu leben beginnen
beginnen neu zu hoffen,
zu wünschen,
beginnen zu glauben
dass neben allem Sehnen,
Hoffen, Flehen
unter und über der Oberfläche
in der Tiefe und in der Höhe
noch etwas anderes ist
eine Folie
ein Dunst
ein Flaum
deinem Eingriff entzogen
deinem angestrengten Wollen

In dieser Sekunde beginnt etwas,
von dem du nichts weißt.

Und wenn der Dunst sich lichtet,
wenn aus der Folie Gestalt geworden ist,
wenn der Flaum die Feder freigibt –

dann
wirst du es wissen.
Und dann
ist es
früh
genug.