Das Leben als Collage

In diesen Tagen finde ich besonderes Gefallen daran, Collagen zu fertigen aus meinem unerschöpflichen Repertoire an Glanzbildern und ausgeschnittenen Pflanzen-, Tier- und sonstigen Motiven. Ich habe neulich etwas Ordnung in diese Sammlung gebracht (was mich einige Zeit gekostet hat) und stelle fest, dass diese neue Ordnung meine Kreativität beflügelt – weil ich nun weiß, wo ich was finde. Aber das nur nebenbei. Das Interessante und Erfreuliche am Collagieren ist für mich das Ausprobieren: Was passt wie zusammen? Was soll in den Vordergrund, was bildet den Hintergrund? Diese Fragen gehen mir während des Tuns durch den Kopf, ich handle also eher intuitiv als planend. Es ist ein Spiel mit den Motiven und Elementen, das durchaus einen gewissen Sog entwickeln kann. Was meine „vernünftige“ Seite jedoch zu der Frage veranlasst: Worauf willst du eigentlich hinaus? Und meistens antworte ich ihr mit: Das weiß ich auch nicht genau.

Und als ich heute Morgen die für den heutigen Blogbeitrag ausgewählte Collage betrachtete, dachte ich: Ist es nicht wie das Leben – oder wie mein Leben? Der Hintergrund (die Vergangenheit) scheint noch durch und darüber lagern sich allerlei Dinge und Bilder (Begegnungen, Ereignisse, Erinnerungen) und ergeben im günstigsten Fall (am Ende) ein spannendes, vielseitiges Ganzes. Ich wurde neulich gefragt, was ich mir unter einem glücklichen Menschen vorstelle. Gibt es darauf eine einfache Antwort? Möglicherweise ist das Glück eben wie so eine Collage – hier und da begegnen mir Momente der Zufriedenheit, der Freude, des Wohlseins und zusammengenommen mögen sie so etwas wie „Glück“ bedeuten. Und im günstigsten Fall schenkt das Leben mir eine Fülle – ähnlich der meines Collagematerials –, aus der ich immer wieder schöpfen und die ich gestalten kann. Dabei kommt es durchaus (häufiger) vor, dass mir mein Leben recht unordentlich erscheint und ohne Richtung und Ziel. Aber vielleicht ist das eben meine Lebens-Art. Ich weiß nicht genau, worauf mein Leben hinausläuft – möge es sich schließlich, wenn es sich neigt, als eine wunderbare Collage erweisen mit Vorder- und Hintergründen, Tiefe und Oberfläche, hellen und dunklen Stellen, mit Blühendem und Sprechendem und einem inneren Wissen, wie es auch am Ende kreativer Prozesse sich zeigt: Jetzt ist es genug. Jetzt ist es gut.

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Dichtes Leben. 2023

Was so passiert

Rote Lippen leuchten
Augenpaare schauen dich an
ein Käfer verkriecht sich im Dickicht
Muscheln lassen sich in den Dschungel spülen
gelbe Zieräpfel fallen vom Strauch
der Gärtner, immer der Gärtner, sticht sich an der Stachelbeere
die Rose verliebt sich in dein Wangenrot

So verstreicht der Tag
verstreichen die Jahre
du hast sie geküsst die roten Lippen
hast in fremde Augen geschaut
hast Muscheln gefunden und den Gärtner
bestochen für eine Stachelbeere
vom Zierapfelstrauch
hast die Rose gepflückt in ihrem
wangenrotverliebten Taumel

Sie blüht dir zur Freude als
gäbe es kein Morgen –
doch der Tag verstreicht
die Jahre vergeh’n …

Außenwelt – Innenwelt

Nichtsahnend begebe ich mich diese Woche zum Altglascontainer um die Ecke, als ich unverhofft von einem Imperativ aufgehalten werde: „SEI GLÜCKLICH!“ hat da jemand in großen Lettern mit Kreide auf den Gehsteig geschrieben. Och nö, nicht das auch noch! Habe ich nicht schon genug zu tun! Jetzt soll ich auch noch glücklich sein. Zudem macht mich diese Aufforderung ärgerlich. Als wenn das so einfach wäre. „Glücklich“ – da liegt die Messlatte ganz schön hoch. So ein Glückspilz von echtem Schrot und Korn, das bin ich sowieso nicht.
Überall lauern diese gut gemeinten Sprüche, die uns aus dem Alltagstrott reißen sollen: Lebe wild und gefährlich! Man ist nie zu klein, um großartig zu sein! Das Leben ist schön! Und so weiter und so fort.

Gerade für Menschen, die nicht auf der „sunny side of the street“ unterwegs sind und sich eh dauernd fragen, wie sie ihr Dasein denn etwas freudvoller gestalten könnten, sind solche imperativen Sentenzen eher „schwierig“. Sie erhöhen den (Erfolgs-)Druck. Wie kann ein gelungenes Leben aussehen? Was will ich am Ende meiner Tage über mein Leben sagen können? Hatte ich Träume? Konnte ich sie verwirklichen? Und wenn nicht? Bin ich gescheitert? Und was heißt scheitern eigentlich?
Sei glücklich! Sorry, schaffe ich gerade nicht. Zu viele Baustellen.

Vielleicht bedeutet Glück, sich von den Erwartungen, die real oder vermeintlich an uns gestellt werden – und die wir selbst an uns stellen –, zu distanzieren. Reicht nicht mein (einfaches) Existieren voll aus, wie ich es neulich ebenfalls in meiner Nachbarschaft lesen konnte? Oder braucht es da doch mehr?
Vor einiger Zeit habe ich mich in einer Liste einmal selbst befragt, worin mein ureigenes Wohlsein wohl liegen könnte …

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Einfach sein?!

Was ich so leidenschaftlich
am liebsten betriebe
von morgens bis abends

Vorm Frühstück schon Gedichte lesen
und gleich danach eine Linie zeichnen
mich auch verlieren im Zeichnen
meiner Fantasie freien Lauf lassen
meiner Hand die Freiheit geben
und meinem Geist

und dann zum Mittag hin ein wenig draußen
spazieren in den vier Elementen
Erde Wasser Feuer Luft finden in der Natur
den freien Geist wieder einfangen und mich sammeln
mich neuen Inspirationen öffnen
verlorene Dinge entdecken vielleicht
ein Gespräch führen

und folgend der Nachmittagstee mit Blicken
aus dem Fenster oder im Garten sitzend die
Bienen beobachten und
das eine oder andere Wort notieren
Zusammenhänge herstellen vielleicht
ein Kapitel eines Romanes lesen
mir wichtig scheinende Sätze ins
Notizbuch übertragen
eine Postkarte schreiben

und bald dämmert es und wird kühl
ein Licht entzünden
warme Socken anziehen
eine Suppe kochen
mich wärmen
dem Schnurren der Katze lauschen
das mich fast einschläfert

und in der Nacht dann die Wanderung
des Mondes beobachten
wie die Sterne aufgehen
wie das Käuzchen ruft
wie die Kerze flackert und erlischt
und ich ganz im Dunklen sitze
und der Schlaf leise herantritt und
mir die Decke umlegt und das
Kissen zart schüttelt für
schöne Träume
in denen ich

vorm Frühstück schon Gedichte schreibe
und gleich danach eine Linie zeichne …

Für einen Moment

An diesen Sommertagen ist mir der frühe Morgen die liebste Zeit. Die Kühle erfrischt mich, im günstigsten Fall weht ein leichter Wind, den ich tief einatme und den Schlaf ausatme. Ich habe noch keine Nachrichten gehört, das Smartphone ist noch stumm gestellt, noch ist die Welt nur das, was meine Sinne unmittelbar wahrnehmen. Diesen Moment möchte ich gern dehnen, ihn mir wie ein weiches Tuch umlegen, das mich schützt vor dem, was nur einige Zeit später wieder auf mich einprasseln wird.

Im Schreiben kann ich die Zeit ein bisschen dehnen, kann die Zeilen zwischen mich und den Alltag setzen, selbst wenn ich nicht vom „Schönen“ schreibe, sondern im Gewusel meiner Gedanken und Gefühle einen Weg finden will. Im Grunde ist so ein Tag – ein All-Tag – ja eine Aneinanderreihung von Momenten, jedenfalls könnten wir ihn dazu machen, wenn wir immer mal wieder innehalten und uns bewusst werden, was wir gerade tun, wo wir gerade sind. Wir könnten diese Momente wie bunte Perlen auf einen roten Faden aufziehen und am Abend könnten wir auf die Frage „Wie war dein Tag?“ uns oder anderen eine Handvoll lustiger Perlen vorzeigen und sagen: „So war mein Tag!“ Und vielleicht wäre das ein gelungener Tag!

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Wie war dein Tag?

Urbanes Gerangel

Ein neuer Morgen
ein kühler Morgen
eine neue Sonne
noch nicht hervorgestiegen
hinter den Dächern
ein Segen

für Momente noch
den feinen Lufthauch
genießen im Schatten
in der Noch-nicht-Sonne
der kleinen Ecke auf
dem kleinen Balkönchen

auf dem die Tauben
gerne siedeln würden
vertriebe ich sie nicht
mein Terrain verteidigend
gegen die Lauernden
die meinen Abgang herbeisehnen

Aber heute, jetzt
ein neuer Morgen
eine neue Sonne
(für ein altes Ich)
und das Kind im Nachbarhaus
es singt und weiß von nichts –

nachahmenswerte Selbstvergessenheit

In der Stille der Nacht

Es passiert mir nicht häufig, aber manchmal eben doch, dass ich nicht einschlafen kann und nachts hellwach im Dunklen liege, bis ich mich entschließe, wieder aufzustehen und etwas anderes zu tun, als auf etwas zu warten, was nicht kommt. Als Schreibende greife ich dann natürlich gern zu Stift und Papier und lasse mich darüber aus, dass ich nicht schlafen kann. Die Stille der Nacht – sofern die Nacht denn wirklich still ist – übt einen bestimmten Sog auf mich aus, es eröffnet sich ein besonderer Raum, der tagsüber nicht vorhanden ist.

Stille ist so zerbrechlich, so leicht zerstörbar, dass sie sicher nicht nur für mich zu einem kostbaren Gut geworden ist. Je enger die Städte werden, je mehr Lärm die Umwelt verpestet, desto seltener ist sie, gerinnt zu Momenten, die ich (schreibend) sammle, wie früher die Insektenforscher*innen seltene Käfer gesammelt haben. Diese Momente lassen sich nicht mit Präparationsnadeln aufspießen und in Schaukästen aufbewahren, sie sind flüchtig, kaum da, schon fort. Da muss es mir nun fast wie ein Segen vorkommen, dass ich manchmal nachts nicht schlafen kann und so Gelegenheit habe, mich ausgiebig der Stille zu widmen. – Und was tun Sie, wenn Sie nachts nicht schlafen können?

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In Erwartung der Stille, des Schlafes …

Nicht schlafen können

Laue Sommernacht
irgendetwas hat meinen Schlaf vertrieben
die Blüten der Porzellanblume verströmen ihren betörenden Duft in meiner Küche
und durchs offene Fenster segeln die Nachtfalter herein, laben sich am Hoya-carnosa-Nektar
ich höre ihr zartes Schlürfen in der Stille
ein Auto fährt vorbei – eines innerhalb von 10 Minuten, wo es sonst mindestens 70 sind
der Kühlschrank sirrt

Laue Sommernacht
umschwirrt von Motten und Mücken und Faltern
sehne ich müde den Schlaf herbei, doch er treibt sich noch irgendwo draußen herum,
versucht vielleicht den Betrunkenen zu bezähmen, der lauthals singend durch die
Straße zieht und nicht mehr wissen will, wo er zu Hause ist

In der Stille wird alles lauter, jedes Türenschlagen schmerzt in den Ohren
ich höre die Gedanken in meinem Kopf rotieren,
wie mögen sie aussehen, flinke bunte Zellen, die von Synapse zu Synapse hüpfen
vom Nachtbus fortgetragen
hinein in die Stadt
die unter einer hitzigen Dunstglocke ausharrt

Und der Kühlschrank sirrt
und die Nachtfalter schlürfen zart
und ich wage mich kaum zu bewegen,
um dieses Stillleben der Geräusche nicht zu stören

Und da erstirbt auf einmal das Kühlschranksirren
noch stillere Stille
und ich höre den Stift auf dem Papier Wort für Wort beruhigendes Schlurfen Gleiten Zögern
die Holzdielen knacken, ein Tropfen fällt aus dem Wasserhahn und die Küche wundert sich,
was ich so spät noch hier zu suchen habe, sie fühlt sich gestört womöglich in ihrer Nachtruhe,
von der sie mir dennoch etwas abgibt, so nett ist meine Küche, selbst wenn ich sie störe

Aus meinem Schatzkästlein klaube ich ein ausgeschnittenes Wort und es heißt (ehrlich wahr!):
Sehnsucht
Sehnsucht nach Schlaf
behütet von Nachtfaltern
und sirrenden Kühlschränken
behütet vom Duft der Porzellanblumenblüten
und vom Dröhnen des Nachtbusses an der Haltestelle

Lavendel wird geraten zur Beruhigung
ich streiche mir Lila auf die schweren Augenlider und träume von weiten Feldern,
über die der Wind streicht an einem sonnigen Morgen um halb 7

Ein Stück Kuchenglück?

Im Februar berichtete ich hier von einem Seminar zu autobiografischem bzw. autofiktionalem Schreiben bei Annette Pehnt. Für den heutigen Eintrag habe ich einen weiteren Text herausgesucht, den ich dort schrieb – inspiriert übrigens von Barbara Köhlers Gedicht „Sonntagskind“ – und der sich mit einer konkreten Erinnerung beschäftigt. Als ich ihn nun mit dem Abstand von zwei, drei Monaten noch einmal las und überarbeitete, war mir das Eingangsbild wieder sehr präsent.

Ich schätze am Schreiben solcher „Vignetten“ mit einem konkreten Thema, dass ich mich für einige Momente vertiefen kann, auch nur Bruchstücke aufgreifen kann, um daraus ein neues Mosaik zu kreieren. Ich kann Vergangenes betrachten und Einzelnes davon erzählen, ohne viele Worte zu machen. Kann vieles anklingen und Bilder sprechen lassen. Manchmal reicht ja ein einziges Wort, um eine Erinnerungsflut in Gang zu setzen. Vielleicht weckt der heutige poetische Text auch bei Ihnen Erinnerungen oder Sie bekommen Lust auf ein besonderes Geschmackserlebnis. So liegen Vergangenes und Gegenwärtiges oft nah beieinander.

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Mutterbuttercreme.

Mutterbuttercreme

Mutter
die große Emailleschüssel zwischen die Oberschenkel geklemmt
schlägt mit dem Holzkochlöffel die Butter schaumig
Frankfurter Kranz ihr bester Kuchen
zu jeder Feier

Mutter/Butter/creme
seit ihrem Tod kein Stück mehr
Familie nur noch auf Beerdigungen
da ist der Kuchen staubig
und zäh wie die Erde im Grab

Butter Mutter Futter für die Seele
das Fettige, das Süße
mit Sahne geht’s leichter runter
traurige Löcher stopfen
mit Gebäck aus guter Butter Mutter

Das Darben die Sehnsucht
die Fülle der Feste
Nachkriegswohlstandsbuttercremetorten
nie wieder Rübenkraut
sagt der Vater

Heute am besten vegan
von wegen gute Butter Mutter
du bist ja auch nicht mehr da
kannst die Butter Mutter
nicht mehr schaumig schlagen