In der Stille der Nacht

Es passiert mir nicht häufig, aber manchmal eben doch, dass ich nicht einschlafen kann und nachts hellwach im Dunklen liege, bis ich mich entschließe, wieder aufzustehen und etwas anderes zu tun, als auf etwas zu warten, was nicht kommt. Als Schreibende greife ich dann natürlich gern zu Stift und Papier und lasse mich darüber aus, dass ich nicht schlafen kann. Die Stille der Nacht – sofern die Nacht denn wirklich still ist – übt einen bestimmten Sog auf mich aus, es eröffnet sich ein besonderer Raum, der tagsüber nicht vorhanden ist.

Stille ist so zerbrechlich, so leicht zerstörbar, dass sie sicher nicht nur für mich zu einem kostbaren Gut geworden ist. Je enger die Städte werden, je mehr Lärm die Umwelt verpestet, desto seltener ist sie, gerinnt zu Momenten, die ich (schreibend) sammle, wie früher die Insektenforscher*innen seltene Käfer gesammelt haben. Diese Momente lassen sich nicht mit Präparationsnadeln aufspießen und in Schaukästen aufbewahren, sie sind flüchtig, kaum da, schon fort. Da muss es mir nun fast wie ein Segen vorkommen, dass ich manchmal nachts nicht schlafen kann und so Gelegenheit habe, mich ausgiebig der Stille zu widmen. – Und was tun Sie, wenn Sie nachts nicht schlafen können?

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In Erwartung der Stille, des Schlafes …

Nicht schlafen können

Laue Sommernacht
irgendetwas hat meinen Schlaf vertrieben
die Blüten der Porzellanblume verströmen ihren betörenden Duft in meiner Küche
und durchs offene Fenster segeln die Nachtfalter herein, laben sich am Hoya-carnosa-Nektar
ich höre ihr zartes Schlürfen in der Stille
ein Auto fährt vorbei – eines innerhalb von 10 Minuten, wo es sonst mindestens 70 sind
der Kühlschrank sirrt

Laue Sommernacht
umschwirrt von Motten und Mücken und Faltern
sehne ich müde den Schlaf herbei, doch er treibt sich noch irgendwo draußen herum,
versucht vielleicht den Betrunkenen zu bezähmen, der lauthals singend durch die
Straße zieht und nicht mehr wissen will, wo er zu Hause ist

In der Stille wird alles lauter, jedes Türenschlagen schmerzt in den Ohren
ich höre die Gedanken in meinem Kopf rotieren,
wie mögen sie aussehen, flinke bunte Zellen, die von Synapse zu Synapse hüpfen
vom Nachtbus fortgetragen
hinein in die Stadt
die unter einer hitzigen Dunstglocke ausharrt

Und der Kühlschrank sirrt
und die Nachtfalter schlürfen zart
und ich wage mich kaum zu bewegen,
um dieses Stillleben der Geräusche nicht zu stören

Und da erstirbt auf einmal das Kühlschranksirren
noch stillere Stille
und ich höre den Stift auf dem Papier Wort für Wort beruhigendes Schlurfen Gleiten Zögern
die Holzdielen knacken, ein Tropfen fällt aus dem Wasserhahn und die Küche wundert sich,
was ich so spät noch hier zu suchen habe, sie fühlt sich gestört womöglich in ihrer Nachtruhe,
von der sie mir dennoch etwas abgibt, so nett ist meine Küche, selbst wenn ich sie störe

Aus meinem Schatzkästlein klaube ich ein ausgeschnittenes Wort und es heißt (ehrlich wahr!):
Sehnsucht
Sehnsucht nach Schlaf
behütet von Nachtfaltern
und sirrenden Kühlschränken
behütet vom Duft der Porzellanblumenblüten
und vom Dröhnen des Nachtbusses an der Haltestelle

Lavendel wird geraten zur Beruhigung
ich streiche mir Lila auf die schweren Augenlider und träume von weiten Feldern,
über die der Wind streicht an einem sonnigen Morgen um halb 7

Ein Stück Kuchenglück?

Im Februar berichtete ich hier von einem Seminar zu autobiografischem bzw. autofiktionalem Schreiben bei Annette Pehnt. Für den heutigen Eintrag habe ich einen weiteren Text herausgesucht, den ich dort schrieb – inspiriert übrigens von Barbara Köhlers Gedicht „Sonntagskind“ – und der sich mit einer konkreten Erinnerung beschäftigt. Als ich ihn nun mit dem Abstand von zwei, drei Monaten noch einmal las und überarbeitete, war mir das Eingangsbild wieder sehr präsent.

Ich schätze am Schreiben solcher „Vignetten“ mit einem konkreten Thema, dass ich mich für einige Momente vertiefen kann, auch nur Bruchstücke aufgreifen kann, um daraus ein neues Mosaik zu kreieren. Ich kann Vergangenes betrachten und Einzelnes davon erzählen, ohne viele Worte zu machen. Kann vieles anklingen und Bilder sprechen lassen. Manchmal reicht ja ein einziges Wort, um eine Erinnerungsflut in Gang zu setzen. Vielleicht weckt der heutige poetische Text auch bei Ihnen Erinnerungen oder Sie bekommen Lust auf ein besonderes Geschmackserlebnis. So liegen Vergangenes und Gegenwärtiges oft nah beieinander.

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Mutterbuttercreme.

Mutterbuttercreme

Mutter
die große Emailleschüssel zwischen die Oberschenkel geklemmt
schlägt mit dem Holzkochlöffel die Butter schaumig
Frankfurter Kranz ihr bester Kuchen
zu jeder Feier

Mutter/Butter/creme
seit ihrem Tod kein Stück mehr
Familie nur noch auf Beerdigungen
da ist der Kuchen staubig
und zäh wie die Erde im Grab

Butter Mutter Futter für die Seele
das Fettige, das Süße
mit Sahne geht’s leichter runter
traurige Löcher stopfen
mit Gebäck aus guter Butter Mutter

Das Darben die Sehnsucht
die Fülle der Feste
Nachkriegswohlstandsbuttercremetorten
nie wieder Rübenkraut
sagt der Vater

Heute am besten vegan
von wegen gute Butter Mutter
du bist ja auch nicht mehr da
kannst die Butter Mutter
nicht mehr schaumig schlagen

Inspiration finden

Wenn es gut läuft, versuche ich am Ende des täglichen Morgenseitenschreibens (oder dem, was sich für mich daraus entwickelt hat) etwas Poetisches zu Papier zu bringen. Manchmal nutze ich dafür ein fremdes Gedicht, aus dem mich etwas anspricht, das kann ein Bild, eine Metapher sein oder nur ein einzelnes Wort. Manchmal nehme ich aber auch irgendein Buch, schlage irgendeine Seite auf und tippe blind auf irgendein Wort. Wenn ich auf diese Weise fünf Wörter zusammenhabe, lasse ich mich von ihnen inspirieren für einen neuen Text.

Das Spannende an diesem „Wörterpicken“ ist, dass es mich auf fremde Fährten führt, denn ich bekomme es hin und wieder mit Wörtern zu tun, die ich nur selten verwende und/oder die mir im poetischen Schreiben erst einmal nicht in den Sinn kämen, wie im heutigen Text der Instrumentenbauer und die Garderobe. Das hilft mir, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, mich in Gefilde zu begeben, in denen ich mich nicht so gut auskenne, wie die Musik zum Beispiel. Beim Verfassen der „Klangfolge“ unten erinnerte ich mich an die Schreibübung „Die Musik in dir“ von Bonni Goldberg (in „Raum zum Schreiben“, Autorenhaus Verlag): Wenn Sie ein Instrument wären, welches wäre das? – Und mal weitergedacht: Wie würde es sich wohl anhören auf Erden, wenn wir alle Instrumente wären?

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Sound Sequences.

Klangfolge

Wie ein Instrumentenbauer
spürst du dem Ton nach
den das Leben für dich angeschlagen hat
du streichst über den Korpus
deines Seins
wie ein Instrumentenbauer
über das Holz streicht
die Glätte prüft und die Resonanz

Es war dir so eng
als haustest du in
einem Violinenkasten
zu selten geöffnet

Doch dann nutztest du
die nächste Gelegenheit
und entflohst
ließest den Kasten in der
muffigen Garderobe zurück
und folgst nun dem fremden Klang
wie ein Instrumentenbauer
dem Klang folgt

Hörst du die neuen Töne
wie sie sich an dich schmiegen
so lange haben sie
dich vermisst

Lenzgesänge

Ich kann nicht anders, als noch einmal den Frühling zu besingen, der mir die liebste Jahreszeit ist. Es ist doch ver/wunder/lich, dass es wieder sprießt und dass der Himmel wieder blau ist, während gleichzeitig die Sorgen um „die Welt“ nicht nachlassen. Ich nahm neulich an einem Schreibseminar zur Heilkraft der Natur teil und las diese Woche im beruflichen Kontext einen Beitrag über die Vorzüge des Waldbadens (Shinrin Yoku) – und nun kann ich nicht umhin zu sagen: Die Natur heilt.

Und diese Faszination dessen, was uns da geschenkt wird, erlebe ich vor allem im Frühling, wenn „alles“ im Werden ist, aufbricht, ausbricht aus dem Dunkel der Erde und der Äste. Überall sehen, hören (der Zilpzalp ist zurück), riechen und spüren wir ein großes JA zum Leben. Und daher schließe ich heute ausnahmsweise mit einem Appell: Retten wir die Natur, denn die Natur rettet uns!

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o. T.

Schwingungen

Das Stapfen meines Fußes
erzeugt ein Echo
einen kalten Widerhall
des sterbenden Winters

Erstmals wage ich meine
Schatten zu dehnen und
dem Hall zu begegnen

Sodann breitet sich zarte
frühlingshafte Wohligkeit aus
das Echo ist nur mehr ein
Wort mit vier Buchstaben

Mein Fuß stapft auf
und festigt meinen Weg
in neue Farben

Mal die Perspektive wechseln

Wenn morgens die Vögel schon zwitschern, bevor es hell wird, dann streckt der Frühling seine Fühler aus, mögen die niedrigen Temperaturen auch das Gegenteil vermuten lassen. Ich höre gern zu, was da so gezwitschert wird, und stelle mir vor, ich wäre mittendrin in diesem Völkchen von Meisen, Rotkehlchen und Amseln, das sich zu früher Stunde gegen das ewige urbane Dauerrauschen der Autos durchzusetzen versucht.

Zu fliegen wie die Vögel ist ein alter Menschheitstraum. Hin und wieder die Vogelperspektive einzunehmen, kann lehrreich und auch heilsam sein. Die Dinge mal mit Abstand zu betrachten und das größere Ganze in den Blick zu nehmen; manches relativiert sich dabei.
Und dann merke ich, dass ich gern noch viel länger „da oben“ verweilen würde, segelnd, mich treiben lassend, leicht … Wie wäre es heute also mit einem kleinen Aus-Flug?

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Metamorphose.

Nach der Nacht

Am frühen Morgen
wenn die Mondsichel noch steht
ziehe ich mit den ersten Vögeln
frei bin ich dann
in der klaren Luft der oberen Troposphäre

Je näher ich der Erde komme
desto zweifelnder werde ich